Die Türkei sei „ein Beispiel dafür, dass Islam und Demokratie, Islam und Rechtsstaat, Islam und Pluralismus kein Widerspruch sein müssen“, bemerkte Bundespräsident Wulff erst kürzlich zu unserer Verwunderung und zog sich damit auch Kritik von Ralph Giordano zu. Denn wenn Wulff zugleich behauptet, der Islam gehöre zu Deutschland, muss das in der Zusammenschau wohl bedeuten, dass er die Türkei als ein mögliches Demokratiemodell auch für Deutschland ansieht. Deshalb sollte man genau hinschauen, ob man das wirklich möchte.
Eine Karikatur (Foto oben) bewegt zur Zeit die türkische „Demokratie“. Aus Sicht aufgeklärter europäer ist sie ungefähr so blasphemisch wie ein Don Camillo Film. Aber im zukunftweisenden türkischen Demokratiemodell kommt eben noch die islamische Komponente hinzu. Und so findet sich der Zeichner vor Gericht wieder. Die WELT berichtet:
In der Türkei ist Atheismus eine Volksbeleidigung und mit Gefängnis zu bestrafen – so sieht es offenbar die Istanbuler Staatsanwaltschaft. Sie reagierte auf Anzeigen einer Imam-Vereinigung und diverser Privatpersonen gegen den Karikaturisten Bahadir Baruter und erhob Anklage gegen ihn wegen einer Zeichnung, die – nach Auffassung der Staatsanwaltschaft – „die religiösen Gefühle eines Teiles des Volkes verletzt“.(…)
Baruter hatte in der Satire-Zeitschrift „Penguen“ eine Karikatur veröffentlicht, auf der ein Vorbeter in einer Moschee mit einigen Gläubigen zu sehen ist.
Einer der Männer telefoniert gerade mit dem lieben Gott, den er mit der überkonfessionellen Bezeichnung „Tanri“ anredet, nicht „Allah“: „Kann ich den letzten Teil des Gebets weglassen, ich habe auch noch andere Dinge zu erledigen… Vielen Dank mein Gott! Schönen guten Tag noch…“
In den Arabesken, die die Wand der Moschee zieren, hat der Zeichner folgende Botschaft versteckt: „Allah yok, Din yalan“ – Es gibt keinen Gott, Religion ist Lüge.“
Das hatte wütende, aber offenbar nicht ganz unorganisierte Reaktionen „aus der Bevölkerung“ zur Folge, sowie heftige Diskussionen im Internet und in den Medien. Auf der Facebook-Seite Baruters entbrannte eine Debatte mit rund 160 Beiträgen pro und contra.
Es ist nicht das erste Mal, dass Atheismus in der seit einigen Jahren islamischeren Türkei vor Gericht steht. So wurde beispielsweise der Verlag, der die türkische Übersetzung von Richard Dawkins‘ Buch „Der Gotteswahn“ (2006) auf den Markt brachte, wegen Gotteslästerung verklagt.
Am Ende stand jedoch ein Freispruch, und das wird wohl auch bei Baruter das zu erwartende Ergebnis sein.
Über den konkreten Fall hinaus muss man sich jedoch die Frage stellen, inwieweit die immer religiöser werdende Türkei zugleich intoleranter wird gegenüber Andersgläubigen und vor allem gegen Nichtgläubige.
Seit einigen Jahren findet eine spürbare Islamisierung der Gesellschaft statt, kräftig gefördert durch die islamisch geprägte Regierung unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan – und fast mehr noch durch seine Partei, die AKP, und deren konservativere Untergliederungen.
Erdogan hatte persönlich das Thema „verdorbene Atheisten“ zu einem zentralen Leitmotiv seines Wahlkampfes im vergangenen Jahr gemacht. Der Regierungschef hatte Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu mit fast genau den selben Worten attackiert, die nun in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen Baruter stehen.
Kilicdaroglu, so sagte Erdogan damals, habe „die religiösen Überzeugungen unseres Volkes beleidigt“, indem er den Namen „Allah“ in einer nicht religiösen Formulierung verwendet habe.
Das klang schon damals etwas gespenstisch, da einerseits „Religion“ mit „Volk“ gleichgesetzt wurde, und individuelle Atheisten demnach zugleich Verräter ihres Volkes wären. Aber auch deshalb, weil Religion als Mittel eingesetzt wurde, um einem politischen Opponenten letztendlich die Menschenwürde abzusprechen.
Entsprechend beunruhigend ist die Entwicklung der Sichtweisen in der Gesellschaft – neueren Umfragen zufolge wollen die meisten Türken nicht neben einem Juden oder Christen wohnen, geschweige denn Atheisten.
Die Angelegenheit wirft auch ein Schlaglicht auf die schwierigen Bedingungen, unter denen Karikaturisten in der Türkei arbeiten. Erdogan persönlich zieht gerne vor Gericht, um (in der Regel erfolgreich) Schadenersatz zu verlangen, wenn er in Zeichnungen als Hund oder Schwein dargestellt wird.
Um die „Täter“ aufzuspüren, scheuen die türkischen Behörden keine Mühe: Im März dieses Jahres verlangte ein türkischer Staatsanwalt Amtshilfe vom amerikanischen Justizministerium, um den Urheber einer Zeichnung zu identifizieren, die per Email im Internet zirkuliert.
Gespenstisch erscheinen auch die Äußerungen unseres Bundespräsidenten, solche Zustände als eine gelungene Verbindung von Demokratie und einem Islam, der auch zu Deutschland gehöre, zu loben. Zumal wir in diesen Tagen erleben, wie erstmals auch Kritik an einer Religion in Deutschland Gegenstand staatlicher Überwachung und Repression werden soll. Vielleicht kann man die türkischen gesetze bei dieser gelgenheit gleich übernehmen, denn ohnehin hört man aus Brüssel, dass die Türkei – und damit Erdogans Islamisten – demnächst Einfluss auf die europäische Gesetzgebung eingeräumt bekommt. dazu bemerkt die niederländische PVV, die Partei von Geerd Wilders: „Die europäische Komission hat den Verstand verloren!“
Heute kündigte der türkische Minister für europäische Angelegenheiten und EU-Verhandlungsführer Egemen Bagis durch eine Presseerklärung an, dass die Türkei und die EU gemeinsam einen „Meilenstein“ gesetzt hätten. Die türkische Politik solle demnächst Einfluss auf die EU-Gesetzgebung nehmen können und damit auch Fehleinschätzungen bezüglich eines EU-Beitritts des Landes beseitigen.
Man darf gespannt sein, was noch passieren muss, bevor es den überwiegend atheistischen Linken und GRÜNEN in Europa unbehaglich wird.
#1 von Fan am 01/10/2011 - 09:24
Leider zeigt das Bild oben nur einen Teil der Karikatur. Im Original sieht man noch einen Kronleuchter an dem Kondome hängen!
#2 von Dobby am 01/10/2011 - 11:19
Hier gibt es das ganze Bild
http://www.plapperstorch.de/?p=36367
#3 von lobotomium am 01/10/2011 - 21:15
Eine großartige, geistreiche Karikatur. Leider fehlt im obigen Ausschnitt das Beste. Deswegen sollte man dem Link vom plapperstorch folgen.
Eine Verurteilung wegen „Blasphemie“ durch die Türkei ist übrigens vor nicht allzu langer Zeit vom EGMR abgenickt worden:
http://merlin.obs.coe.int/iris/2005/10/article3.en.html
#4 von Tutnix am 02/10/2011 - 00:39
Sehr treffend wie das Verhalten des abtrünnigen Individuums die volle Aufmerksamkeit der Frommen erregt, während der als heilige Botschaft verpackte Widerspruch auf der Tafel für sie offensichtlich nicht dechiffrierbar ist.
Mir würde allerdings der Inhalt der Sprechblase ohne den Spruch an der Wand für meine Argumentation zur ungleichen Perspektive von Muslimen und Christen auf den interreligiösen Dialogs noch besser zupass kommen.